Liebe Gemeinde,
dank Skype, Facetime, Zoom und den
anderen Messengerdiensten und Videoplattformen ist die Welt zu
einem globalen Dorf geworden. Jugendliche chatten um die halbe
Welt. Töchter senden ihren Müttern die neuesten Bilder von den
Enkeln aus Australien.
Gerade lernen auch wir Ältere den Umgang
mit den neuen Medien und Möglichkeiten, um miteinander in
Kontakt zu bleiben.
Ich habe tatsächlich einige
Klassenkameraden, die ihr Weg nach USA geführt hat. Sie haben
dort Arbeit gefunden und haben dort Familien gegründet. Ob und
wie eine Rückkehr nach Deutschland möglich oder geplant ist,
das weiss ich nicht. Wichtig ist, dass sie dort eine neue
Heimat gefunden haben.
II.
Wo du hingehst, da will auch ich
hingehen; wo du bleibst, da bleibe ich auch. Dein Volk ist mein
Volk, und dein Gott ist mein Gott. (Rut 1, 16 b)
Manche kennen diesen Bibelvers als
Trauspruch. In gewisser Weise sind die Partnerschaften, die wir
eingehen, auch so etwas wie der Aufbruch in ein neues Land. Für
die einen mehr, für die anderen etwas weniger. Wenn zwei aus
unterschiedlichen Milieus kommen, ist es nicht so einfach, sich
eine gemeinsame Heimat zu schaffen. Was verbindet uns? Was kann
unsere Beziehung stärken und vertiefen? Gemeinsame
Überzeugungen, Interessen? Erfahrungen und Erlebnisse? Ein
gemeinsames Ziel? Ein gemeinsamer Glaube?
Vermutlich kennen Sie aus Ihren Familien
oder Freundeskreis Beispiele, an denen sichtbar wird, wie religiös
bunt unsere Welt geworden ist. Oder war sie das immer?
Unsere bunte Welt? In den Familien, in denen die
Großeltern Ahnenforschung betrieben haben, fördert ein Blick in
den Nachlass oft Erstaunliches zu Tage. Was sind die Geschichten
hinter unseren Namen bzw. den Namen unserer Vorfahren? Fließt in
meinen Adern nicht auch französisches und dänisches Blut (dRouin,
Mommsen)?
III.
Wo du hingehst, das will auch ich
hingehen; wo du bleibst, das bleibe ich auch. Dein Volk ist mein
Volk, und dein Gott ist mein Gott. (Rut 1, 16 b)
Das Buch Rut gehört zu den schönsten
Liebesgeschichten der Bibel. Sie ist schon deshalb so ergreifend,
weil sie mit einer Tragödie beginnt: die Männer der Familien
sterben. Zurück bleiben drei Witwen, die Israelitin Noomi mit
den Frauen ihrer beiden Söhne. Da wäre es nur natürlich
und vielleicht auch geboten dass jede in ihre
Ursprungsfamilien zurückkehren: Noomi nach Bethlehem, Orpa und
Rut zu ihren Familien im Moabiterland. Denn Noomis Söhne hatten
moabitische Frauen geheiratet.
Genau das geschieht nicht. Obwohl Noomi
ihre Schwiegertöchter von jeder Verpflichtung ihr gegenüber
entbindet und sie freigibt für ein neues Leben, will die eine
Rut weiter für ihre Schwiegermutter sorgen:
Wo du hingehst, das will auch ich
hingehen; wo du bleibst, das bleibe ich auch. Dein Volk ist mein
Volk, und dein Gott ist mein Gott.
Das ist nicht nur ein berührendes
Treuebekenntnis, sondern auch eine erstaunliche
Grenzüberschreitung. Rut lässt alles, was ihrem Leben
Sicherheit und Halt gegeben hat, hinter sich: ihre familiären
Bindungen, ihre Heimat und sogar den Glauben ihrer Mütter und
Väter.
Naheliegender wäre gewesen, dass Rut
ihre Schwiegermutter bei sich zu Hause aufnimmt; für sie sorgt
im Land der Moabiter. In einem Umfeld, das einen Rest von
Stabilität verheißt. Aber so entwickelt sich die Geschichte
nicht. Rut folgt Noomi in ein ihr völlig unbekanntes Land.
Auf den ersten Blick gerät Rut in eine
scheinbar ausweglose Sackgasse, weil sie in der gemeinsamen
Trauer, aus Fürsorglichkeit und Mitgefühl gegenüber bei ihrer
Schwiegermutter bleibt. Wenn Noomi stirbt, wird Rut in einem
fremden Land völlig auf sich alleine gestellt sein, ohne den
Rückhalt einer Familie. Deshalb gibt Noomi ihre beiden
Schwiegertöchter frei, schickt sie sogar fort: Bindet Euch
nicht an mich! Sucht Euer Glück woanders! Kehrt zu Euren
Familien zurück! Aber Rut lässt sich nicht fortschicken,
will sich nicht von Noomi lösen. Ja, sie vertieft ihre
Verbundenheit noch durch dieses Versprechen:
Wo du hingehst, das will auch
ich hingehen; wo du bleibst, das bleibe ich auch. Dein Volk ist
mein Volk, und dein Gott ist mein Gott. Wo du stirbst, da sterbe
ich auch, da will ich auch begraben werden. Der Herr tue mir dies
und das, nur der Tod wird dich und mich scheiden. (Rut 1,
16 b + 17)
Entgegen allem Erwartbaren nimmt die
Geschichte am Ende eine wunderbare Wendung. Ein entfernter
Verwandter ihres verstorbenen Mannes mit Namen Boas erkennt ihren
guten Charakter und verliebt sich in sie. Der gemeinsame Sohn
Obed ist der Großvater des König David.
IV.
Auf diese Weise findet Rut als eine von
fünf Frauen Aufnahme in den Stammbaum Jesu. Für den
Evangelisten Matthäus ist das ein Hinweis auf die Universalität
des Heilshandeln Gottes in Jesus Christus, das alle Grenzen
sprengt. Zugleich wird Rut so für uns zu einem Vorbild für
Menschlichkeit und Gottvertrauen. Rut stellt uns die Frage, wie
wir denen begegnen, die uns fremd sind, die anders glauben.
Natürlich geht es mir nicht darum, jetzt
zu einem Konfessionswechsel aufzurufen. Aber das Zeitalter des
Konfessionalismus ist so sehr ich mit Überzeugung
Lutheraner bin unwiederbringlich an ein Ende gekommen.
Unsere Kinder müssen und werden eigene Glaubenswege finden, und
was wir ihnen mit auf den Weg geben können, sind nicht Riten und
Konventionen Es ist ein Land der Freiheit, das vor uns liegt.
Auch darin ist uns Rut Vorbild, weil ihr
Beispiel das krasse Gegenteil von Verantwortungslosigkeit
darstellt. Aber was sie tut und verspricht, tut und sagt sie in
Freiheit:
Wo du hingehst, das will auch ich
hingehen; wo du bleibst, das bleibe ich auch. Dein Volk ist mein
Volk, und dein Gott ist mein Gott. Wo du stirbst, da sterbe ich
auch, da will ich auch begraben werden. Der Herr tue mir dies und
das, nur der Tod wird dich und mich scheiden.
V.
Beim Nachdenken über Rut kommen mir
weitere Beispiele und Bibelworte in den Sinn. Abraham natürlich,
von Gott gesandt in ein Land, das ICH dir zeigen werde.
Und Paulus, der Grenzgänger und Heidenapostel, wenn
mit den Heiden wir alle gemeint sind, die durch seine
Verkündigung eingemeindet worden sind in das Volk
Gottes.
Ich weiß nicht recht, warum. Aber ich
muss beim Gedanken an Rut auch an den Anfang des dritten Satzes
des Deutschen Requiems von Johannes Brahms denken: HERR,
lehre doch mich, dass es ein Ende mit mir haben muss und mein
Leben ein Ziel hat und ich davon muss. (Ps 39, 5)
Spiegelt sich in diesem Psalmwort und
auch in der Vertonung durch den Komponisten nicht auch das
Schicksal Ruts? Könnte dieses Gebet (der Psalm) nicht auch
Ausdruck der Trauer der drei Frauen um ihre verstorbenen
Ehemänner sein, auch ihrer Kinderlosigkeit(!)?
Auf jeden Fall ist die gemeinsame
Trauer ein starkes Band zwischen ihnen.
Zugleich höre ich durch das ruhige
Voranschreiten der Töne im Requiem, zwischen all den moll-Akkorden,
in allem Vergänglichen einen verlässlich tragenden Grundton,
dass unser Leben ein Ziel hat. Ruts Lebensweg
hat ein Ziel, auch wenn sie Bethlehem nicht kennt und sich ein
Leben dort nicht ausmalen kann. Es ist nicht nur das gemeinsam
Erlebte, nicht nur der gegenseitige Halt, den sich die Frauen in
ihrer Trauer geben, nicht nur die innere Verpflichtung, welche
sie gegenüber Noomi empfindet und gegenüber sich selbst
auch, wenn sie sich treu bleiben will.
Rut bekommt etwas, was in ihrer
Lebensgeschichte seinen sichtbaren Ausdruck findet deshalb
muss eigentlich ihre ganze Geschichte erzählt werden. Tun Sie
mir, liebe Gemeinde, einen Gefallen und schlagen Sie zu Hause in
der Bibel nach. Es sind nur vier kurze Kapitel. Die lohnen sich!
Rut bekommt bzw. sie hat etwas, das über
das Erzählte weit hinausgeht. Ihr Leben hat ein Ziel. Und zwar nicht in
dem Sinn, dass sie alles auf ein morgen verschiebt:
Erst muss ich mich um Noomi kümmern, erst dann bin ich
wirklich frei, mein eigenes Leben zu leben. Sondern dieses
Ziel ist in allem, was sie tut, gegenwärtig. In ihrer Sorge und
Liebe wie umgekehrt auch in der Klugheit und Umsicht ihrer
Schwiegermutter.
Dass ihr Leben ein Ziel hat
ist der kaum wahrnehmbare aber trotzdem alles tragende Grundton
von Ruts Geschichte, das ist der Grundton ihres Lebens.
VI.
Ein Letztes.
Das Ziel unseres Lebens verwirklicht sich
im Heute, aber es geht darin nicht auf. Es liegt wie in
der Geschichte Ruts uns immer voraus.
Mir kommt dazu ein Jesus-Wort aus dem
Johannesevangelium in den Sinn: In meines Vaters Hause sind
viele Wohnungen. (Joh 14, 2 a)
Im Reich Gottes ist Platz für viele und
ja, auch: für vieles. Für Noomi und Rut, für ihre
Schwägerin Orpa, die eine andere Lebensentscheidung fällt als
Rut. Für gemeinsame Erfahrungen, für das Beieinander sein in
Trauer und Glück. Für gegenseitige Fürsorge und für das
Scheitern. Gottes Reich ist weiter und größer, als wir uns
vorstellen können, in seinem Haus sind viele Wohnungen. Und
manche sind nicht für uns bestimmt, sondern für andere
was wissen denn wir darüber.
Der Predigttext erweitert den Horizont.
Es geht nicht nur um unsereins auf dieser Welt. Das Heil unseres
Gottes beschränkt sich nicht auf das Volk Israel. Die Heilstat
Jesu ist nicht Katholiken oder Protestanten vorbehalten. Nein,
Gott hat alle im Blick. Auch die Moabiter, die Heiden ( also uns),
und vielleicht auch die Menschen, die Moslems, Hindus oder
Buddhisten sind.
Rut so will mir scheinen
hat den Weg gefunden. Könnte doch sein, dass gerade deshalb ihre
Geschichte erzählt wird. Immer wieder erzählt werden muss! Uns
zum Seelenheil.
Im Johannesevangelium ist es der ungläubige
Thomas, der sich zu fragen traut: Wie komme ich dahin?
Spricht Jesus zu ihm: Ich bin der
Weg, die Wahrheit und das Leben. (Joh 14, 6 a)
Die Richtung ist klar, die Jesus uns
weist.
Wie gut, dass eine wie Rut sich im
Vertrauen auf Gott auf diesen Weg gemacht hat.
Wir können diesen Weg auch wagen. Wir
müssen nur loslaufen und Gott geht mit uns.
So spreche ich voll Vertrauen.
Amen. So soll es sein.