Ich muss zugeben: Im Gefängnis war ich bisher nur zu Besuch.
Und ich hoffe auch, dass das so bleibt. Denn schon als Besucher
in einer JVA erlebt man Dinge, die deprimieren. Die vielen
verschlossenen Türen, die Sicherheitsschleusen, die Kontrollen.
Dagegen ist das auf dem Flughafen ein Klacks. Allein die
Vorstellung, in einem modernen Knast zu sitzen in einer kleinen
Zelle, die nur von außen aufgeschlossen werden kann, macht mir
Angst.
In unserem heutigen Predigttext sitzen zwei antike Missionare
im Knast und zwar in keiner modernen JVA, sondern in einem
typisch römischen Gefängnis in der Hafenstadt Ephesus. In
einem kalten und feuchten Verlies und überdies noch an den
Füßen in einen Block verriegelt. Ihre Aussichten waren
schlimmer als ich mir vorstellen kann. Aber sie singen
Loblieder. Sie loben Gott
23 Nachdem man sie hart geschlagen
hatte, warf man sie ins Gefängnis und befahl dem Kerkermeister,
sie gut zu bewachen. 24 Als er diesen Befehl empfangen hatte,
warf er sie in das innerste Gefängnis und legte ihre Füße in
den Block. 25 Um Mitternacht aber beteten Paulus und Silas
und lobten Gott. Und es hörten sie die Gefangenen. 26
Plötzlich aber geschah ein großes Erdbeben, sodass die
Grundmauern des Gefängnisses wankten. Und sogleich öffneten
sich alle Türen und von allen fielen die Fesseln ab. 27 Als
aber der Kerkermeister aus dem Schlaf auffuhr und sah die Türen
des Gefängnisses offen stehen, zog er das Schwert und wollte
sich selbst töten; denn er meinte, die Gefangenen wären
entflohen. 28 Paulus aber rief laut: Tu dir nichts an; denn
wir sind alle hier! 29 Der aber forderte ein Licht und
stürzte hinein und fiel zitternd Paulus und Silas zu Füßen. 30
Und er führte sie heraus und sprach: Ihr Herren, was muss ich
tun, dass ich gerettet werde? 31 Sie sprachen: Glaube an den
Herrn Jesus, so wirst du und dein Haus selig! 32 Und sie
sagten ihm das Wort des Herrn und allen, die in seinem Hause
waren. 33 Und er nahm sie zu sich in derselben Stunde der
Nacht und wusch ihnen die Striemen. Und er ließ sich und alle
die Seinen sogleich taufen 34 und führte sie in sein Haus
und bereitete ihnen den Tisch und freute sich mit seinem ganzen
Hause, dass er zum Glauben an Gott gekommen war.
Was für ein Glaube, was für eine Hoffnung: Im finstersten
Kellerverlies Loblieder anzustimmen. Das erfüllt mich mit tiefem
Respekt. Und ich frage mich: Wie äußert sich mein Glaube in dem,
was ich erlebe?
Aber vielleicht ist das auch nicht die angemessene Frage.
Vielleicht muss ich nur hinsehen und wahrnehmen: wenn ein Mensch
schwach ist, sich wehrlos fühlt, ausgeliefert und hilflos, dann
hat er bei Gott immer noch seinen ganz großen Wert.
Und weil Paulus und Silas sich dieses Wertes bewusst sind,
darum können sie auch in der Finsternis und in aller
Ausweglosigkeit singen. Und deswegen müssen sie auch nicht die
erste Chance nutzen zu fliehen, sondern können geduldig den
Dingen ihren Lauf lassen. Das ist nein Gottvertrauen, wie ich es
manchmal gerne hätte.
Der Wärter dagegen ist ein Mensch, der sich aufs Quälen und
Foltern versteht. Das ist sein Beruf. Hier kann er Karriere
machen. Aber nur dann, wenn es ihm gelingt, seinen Laden
zusammenzuhalten. Und wenn Gefangene verschwinden, dann gibt es
keine Untersuchung, wie das denn passieren konnte. Da gibt es
Tatsachen und die vorgesetzten Behörden machen ihn
verantwortlich. Er stürzt ins Bodenlose und darum will er sich
selbst töten, bevor Andere das tun.
Erst die Ansprache von Paulus rettet ihn.
Beides gehört zusammen: Selbst im Gefängnis feiern Silas und
Paulus Gottesdienst öffentlich. Sie singen, loben und beten. Das
befreit innerlich und in diesem Fall auch äußerlich. Das ist
aber nicht entscheidend. Diese Geschichte ist nicht wichtig wegen
dieser wunderbaren Befreiung, sondern wegen des
verantwortungsvollen Umgangs mit der neu gewonnenen Freiheit.
Das ist doch das eigentliche Wunder, dass diese Beiden nicht
ihre Chance zur Flucht ergreifen, sondern den Wärter, der mit
Sicherheit keine Hemmungen gehabt hätte, Gewalt gegen sie
einzusetzen, davor bewahren, sich selbst etwas anzutun. Sie
sprechen den Menschen, der sich am Ende seiner Karriere und
seines Lebens wähnt an und verändern sein Leben so sehr, dass
er und die Seinen sich taufen lassen.
Und so einfach geschieht es dann auch. Weder Paulus noch Silas
noch Lukas, der das Geschehen überliefert haben damit ein
Problem, dass ein Mensch in extremer Seelenlage getauft werden
will (mit den Seinen) und das dann auch geschieht ohne
Taufunterricht und ohne wirkliches Wissen.
Ich finde das schön. Die ganze Episode atmet den Geist der
Freiheit. Die Apostel im Kerker fühlen sich innerlich frei und
singen und loben Gott. Der Kerkermeister wird befreit von den
Zwängen seiner Profession, weil die Apostel nicht nur frei genug
sind, nicht wegzulaufen, sondern ihn anzusprechen und ihm von
Jesus Christus zu erzählen, der sie frei macht. Und er selber
ist nun so frei, sich taufen zu lassen.
Und ich erkenne, wie unfrei ich manchmal lebe, mich abhängig
mache von dem Streben, dass es mir immer besser gehen könnte.
Wie ich mich abhängig mache von dem Gedanken, ich müsste alles
im Griff haben und meine Chancen ergreifen.
Und an Stelle der Beiden wäre ich sicher abgehauen, ohne mich
darum zu kümmern, was aus dem Wärter wird. So hätte ich auch
seine Befreiung verpasst.
Das wäre doch etwas für mein Leben, wenn ich noch mehr
vertraue, dass der Herr bei mir ist, auch wenn alles so ausweglos
aussieht und dass ich darum auch in den finstersten Situationen
singen und loben darf. Und auch in tollen Erlebnissen nicht
abheben muss, sondern dankbar bleiben darf.
Und in allem, dass ich mein Leben genießen darf, so wie es
ist und täglich neu Gott loben und singen darf in guten
wie in schlechten Zeiten.
So soll es sein Amen
Und die Gnade Gottes, die größer ist als all unsere Vernunft,
sei mit euch allen. Amen