Lukas 1, (39-45)46-55(56)

(wird während der Predigt verlesen)

Vor Freude hüpfen
Liebe Gemeinde,
können Sie sich daran erinnern, wann Sie das letzte Mal gehüpft sind, - vor lauter Freude gehüpft sind? Kinder hüpfen.  Kinder hüpfen, weil sie kaum erwarten können, bis es so weit ist – bis der Urlaub endlich beginnt, die Koffer gepackt sind, bis die Bescherung beginnt und es endlich losgehen kann. Mit der Schultüte in der Hand hüpfen sie auf dem Weg zur Einschulung, weil sie nun endlich zu den Großen gehören. Kinder hüpfen am Fenster auf und ab, bis der erwartete Besuch endlich angekommen ist und Oma und Opa unten aus dem Auto steigen. Kinder können es auch kaum erwarten, bis endlich der Heilige Abend gekommen ist. Da wird jeder Tag auf dem Adventskalender gezählt: „Morgen, Kinder, wird’s was geben, morgen werden wir uns freun...
Einmal werden wir noch wach, heißa, dann ist Weihnachtstag!“
Wir Erwachsene haben wohl eher verlernt, unserer Vorfreude solchen Ausdruck zu verleihen. Wir gehen den Jahresurlaub, den Familienbesuch und auch Weihnachten meist mit ganz anderen Gefühlen an: Werden wir rechtzeitig fertig mit allen Vorbereitungen und Einkäufen, wird auch nichts schief gehen?
Jedes Jahr hat uns die vorweihnachtliche Geschäftigkeit fest im Griff, da werden Einkaufslisten abgearbeitet, jeder freie Moment wird mit Vorbereitungen und Erledigungen ausgefüllt.
Es gibt viel zu planen: Werden die Kleinen glücklich sein mit den Geschenken? Kommen die erwachsen gewordenen Kinder alle nach Hause? Werden wir uns einigen, zu welchen Großeltern wir am ersten und zu welchen wir am zweiten Weihnachtstag fahren?
Oder – anders betrachtet: Werden meine Kinder kommen, oder sitze ich allein in meinem Seniorenheim, und alles, was ich bekomme, sind nur pflichtschuldige Telefonanrufe und ein Blumenstrauß vom Lieferdienst?
Da ist uns kaum zum Hüpfen zumute. Oder vielleicht doch?
Wir hören heute Morgen von der Begegnung der beiden Frauen Maria und Elisabeth.
Der Evangelist Lukas erzählt uns davon:
Maria machte sich auf in diesen Tagen und ging eilends in das Gebirge zu einer Stadt in Juda und kam in das Haus des Zacharias und begrüßte Elisabeth. Und es begab sich, als Elisabeth den Gruß Marias hörte, hüpfte das Kind in ihrem Leibe.
Und Elisabeth wurde vom heiligen Geist erfüllt und rief laut und sprach: "Gepriesen bist du unter den Frauen, und gepriesen ist die Frucht deines Leibes!
Und wie geschieht mir das, dass die Mutter meines Herrn zu mir kommt? Denn siehe, als ich die Stimme deines Grußes hörte, hüpfte das Kind vor Freude in meinem Leibe.
Und selig bist du, die du geglaubt hast!
Denn es wird vollendet werden, was dir gesagt ist von dem Herrn."
Und Maria sprach:
"Meine Seele erhebt den Herrn, und mein Geist freut sich Gottes, meines Heilandes;
denn er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen. Siehe, von nun an werden mich selig preisen alle Kindeskinder. Denn er hat große Dinge an mir getan,  der da mächtig ist und dessen Name heilig ist. Und seine Barmherzigkeit währt von Geschlecht zu Geschlecht
bei denen, die ihn fürchten. Er übt Gewalt mit seinem Arm  und zerstreut, die hoffärtig sind in ihres Herzens Sinn. Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen.
Die Hungrigen füllt er mit Gütern  und lässt die Reichen leer ausgehen.
Er gedenkt der Barmherzigkeit und hilft seinem Diener Israel auf,
wie er geredet hat zu unsern Vätern, Abraham und seinen Kindern in Ewigkeit."
Und Maria blieb bei ihr etwa drei Monate;  danach kehrte sie wieder heim.

Die schwangere Maria macht sich auf, ihre Cousine Elisabeth zu besuchen, die ebenfalls schwanger ist. Da treffen sich zwei Frauen, die beide unter schwierigen Umständen ein Kind erwarten: Die eine, Maria, ist blutjung, verlobt - und niemand weiß so recht, wer der Vater ihres Kindes ist und wie sich ihr Verlobter Josef dazu verhalten wird. Eine peinliche Situation.
Und da ist die sehr viel ältere Elisabeth, die so lange auf ein Kind gewartet und gehofft hat; nun ist sie endlich schwanger geworden, aber ihr Mann Zacharias ist verstummt. Eine seltsame Geschichte.
Lukas erzählt, dass Maria in das Haus der Elisabeth kommt:
Und es begab sich, als Elisabeth den Gruß Marias hörte, hüpfte das Kind in ihrem Leibe.
(Dieser Satz gehört für mich zu den schönsten im Neuen Testament.)
Da erkennen einander zwei ungeborene Kinder:
Johannes, der später nur der Täufer genannt wird, und Jesus.
Johannes der Täufer - seine Freude ist schon im Leib seiner Mutter Elisabeth spürbar. Diese Kindsbewegung, auf die Elisabeth so lange gewartet hat, bewegt sie so sehr, dass sie vom Heiligen Geist erfüllt wird, wie Lukas schreibt, und Maria mit den Worten empfängt:
Gepriesen bist du unter den Frauen,  und gepriesen ist die Frucht deines Leibes...
Solche Worte wird Maria von ihrer Familie bisher nicht gehört haben. Endlich ist da ein Mensch, der sie versteht und der zu ihr hält. Was für ein schöner und erleichternder Empfang!
Ihr eigener Jubel bricht sich Bahn, und sie singt ihr Lied:
Meine Seele erhebt den Herrn, und mein Geist freut sich Gottes, meines Heilandes.
Denn er hat große Dinge an mir getan.  Maria dankt Gott. Sie freut sich auf das, was kommen wird.  Sie freut sich auf das Kommen Gottes in diese Welt, wenn endlich alles anders sein wird:
Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen.
Die Hungrigen füllt er mit Gütern  und lässt die Reichen leer ausgehen.
Weit über ihr eigenes Schicksal hinaus jubelt Maria über das, worauf sie wie alle Menschen ihrer Zeit sehnlichst hofft: das Kommen des Messias. Und sie soll seine Mutter sein. Das kann sie kaum verstehen, kaum nachvollziehen, aber sie freut sich aus ganzem Herzen.
Maria weiß auch um die Schwierigkeiten, sie weiß, was hinter ihr liegt, und sie ahnt, was kommen wird an Problemen. Ihr Weg führte sie übers Gebirge, so erzählt Lukas.
Es ist ein steiniger, ein dorniger Weg – so wird dieser Gedanke ausgemalt in dem Lied „Maria durch ein Dornwald ging“.
Ein Weg übers Gebirge und durch Dornen – das beschreibt den Lebensweg vieler Menschen.
Wenn wir mit einem schweren Schicksal zu kämpfen haben, mit dem Tod eines Angehörigen, mit Krankheit, mit Unrecht und Gewalt – einfach ist es nicht, dieses Leben von Gott her zu deuten und uns auf das, was noch kommen wird, aus ganzem Herzen zu freuen.
Maria gelingt es, sie freut sich von ganzem Herzen.

Und wir? Morgen feiern wir den Heiligen Abend. Können wir uns so freuen, wie es Kinder können? Wer das Reich Gottes nicht empfängt wie ein Kind, der wird nicht hineinkommen – so hat Jesus gesagt.  Das ist eine Verheißung und eine Mahnung.
Noch ist Zeit.  Zeit, um der Freude, die von Gott kommt, den Weg zu bereiten.
Denn darum geht es heute Morgen:
Dass wir die Freude, die von Gott kommt, aufnehmen und in unser Herz lassen, damit sie in unserem Leib hüpfen kann.
Noch ist Zeit; wir gehen dem Heiligen Abend noch entgegen, der Zeit der Erfüllung unserer Wünsche und Sehnsüchte.
In unserem Herzen soll es Weihnachten werden, nicht nur in unserem Wohnzimmer. Es geht um mehr als ein paar Tage heile Welt, es geht um mehr als ein Familienfest.
Es geht um das Kommen Gottes in unsere Welt.
Er kommt als Kind, das in die Krippe gelegt wird, weil sonst kein Platz ist. Und er wird kommen am Ende der Zeit, wenn sein Reich anbrechen wird: das Reich der Barmherzigkeit und der Gerechtigkeit. Wenn er kommt, dann wird alles anders sein: Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen. Die Hungrigen füllt er mit Gütern  und lässt die Reichen leer ausgehen.  Er gedenkt der Barmherzigkeit und hilft seinem Diener Israel auf,
wie er geredet hat zu unsern Vätern.
Der zeitliche Bogen, den die Geschichte von der Begegnung zwischen Maria und Elisabeth spannt, ist weit. Er beginnt kaum spürbar mit einem Hüpfen im Leib, und er endet mit dem Kommen des Reiches Gottes.
Dieser Adventssonntag ist eine Erinnerung und eine Einladung an uns, das Hüpfen in unserem Leib zu spüren, ob wir nun alt oder jung sind, ein Mann oder eine Frau.
Denn das heißt doch glauben:
„guter Hoffnung“ sein, etwas fühlen und erahnen, was noch nicht da ist, noch nicht vor aller Augen ist, noch nicht greifbar ist. Aber für mich ist es wirklich und verändert mein Leben.
Und ich freue mich auf das, was kommen wird, wie eine Mutter, wie ein Vater auf ihr ungeborenes Kind.  Vielleicht haben wir diese Vorfreude ganz fest eingepackt und zugepackt in unserem Leib, in unserem Herzen. So dass wir nicht bemerken, wie sie da ist und hüpft.
Wir benehmen uns wie Erwachsene, wir sind es ja. Aber unser Erwachsensein lässt uns manchmal abstumpfen und empfindungslos werden für das, was kommen wird, für die Freude und Vorfreude. Da tut es gut, auf Elisabeth und Maria zu schauen, auf ihre Vorfreude, auf ihren Glauben, auf ihr Vertrauen in die Zukunft.  Bei ihrer Begegnung sind sie beide "adventliche Gestalten":  Sie leben zwischen Verheißung und Erfüllung. Sie sind erfüllt von dem, was Gott mit ihnen vorhat. Morgen ist Heiliger Abend. Gott kommt zu uns in unsere Welt.
Wir dürfen uns darauf freuen und einstimmen in Marias Jubel:
Ich bin vergnügt
erlöst
befreit
Gott nahm in seine Hände meine Zeit
Mein Fühlen Denken Hören Sagen
Mein Triumphieren und Verzagen
Das Elend und die Zärtlichkeit
Was macht dass ich so fröhlich bin
An vielen dunklen Tagen
Es kommt ein Geist in meinen Sinn
Will mich durchs Leben tragen
Was macht dass ich so unbeschwert
Und mich kein Trübsinn hält
Weil mich mein Gott das Lachen lehrt
Wohl über alle Welt.
Amen.