Predigt zum Gründonnerstag, 18.04.19
Unter Verwendung der Bildkarte Das
letzte Abendmahl von Leonardo da Vinci (Art.-Nr. 1320).
Deinen Tod, o
Herr, verkünden wir, und deine Auferstehung preisen wir, bis du
kommst in Herrlichkeit.
Die Gedanken sind frei
Liebe Gemeinde,
die Gedanken sind frei
Das zeichnet den Menschen aus, dass er sich vorstellen kann,
woanders zu sein egal wo er sich gerade befindet. Jede und
jeder kann hier sitzen und gleichzeitig vor dem inneren Auge die
Landschaft des letzten Urlaubs vor sich sehen oder die Tapete im
Wohnzimmer des Elternhauses. Allein die Vorstellungskraft lässt
uns hierhin und dahin wandern.
Beim Abendmahl geschieht genau
das: Wir sitzen hier als feiernde Gemeinde und sind innerlich
vorbereitet am Altar Brot und Wein zu empfangen. In Gedanken
haben wir dabei das letzte Mahl Jesu vor Augen. Gleichzeitig
hören wir, dass Jesus im Abendmahl auch auf die Zukunft weist,
wenn er sagt:
Ich
sage euch: Ich werde nicht mehr von diesem Gewächs des
Weinstocks trinken, bis an dem Tag, an dem ich von neuem davon
trinken werde mit euch in meines Vaters Reich.
(Mt 26,29)
Dabei hören wir die Worte
mit euch nicht allein auf die Jünger bezogen,
sondern auch an uns gerichtet. Auch wir werden Jesus begegnen am
Ende unseres Lebens, am Ende der Zeit, in seines Vaters Reich. So
ist das beim Abendmahl: Ein Blick geht in die Vergangenheit. Ein
Blick wandert voraus in die Zukunft. Dazwischen stehen wir als
die das Abendmahl feiernde Gemeinde. Die Gedanken sind frei
Jesus: die zentrale Figur
des Abendmahls
Bei der Erinnerung, dem Blick
zurück, hilft uns das Bild des Abendmahls von Leonardo da Vinci,
das Sie als Karte vor sich haben. Es ist eines der berühmtesten
Bilder der Malerei überhaupt. Es steht bis heute vielen vor
Augen, wenn sie die biblische Geschichte des letzten Abendmahls
Jesu mit seinen Jüngern hören: Ja, genau so könnte man sich
diese Szene vorstellen. Leonardo da Vinci hält den Moment fest,
in dem Jesus gesagt hat:
Einer
von euch wird mich verraten.
(Mt 26, 21b)
In diesem Moment geraten die
Jünger in Aufruhr. Leonardo stellt dabei das war neu für
seine Zeit jeden Jünger ganz individuell dar. Welche
Figur des Bildes man sich auch immer anschaut, man kann sich
leicht vorstellen, was ihn ihm vorgeht, wie er Jesu Worte
auffasst. Gesten und Gesichtsausdruck sind jeweils ganz speziell
wiedergegeben.[1]
Dabei hat Leonardo die Jünger noch einmal in kleine Grüppchen
von je drei Personen aufgeteilt, die wiederum jede für sich als
Gruppe ausdrucksstark sind. Judas, den Jesus eigentlich mit
seinen Worten meint, man sieht ihn auf der linken Seite in
einem blauen Gewand ist dabei der einzige Jünger, der
nicht vom Licht beschienen ist. Manche Ausleger des Bildes meinen
auch, dass der weite Halsausschnitt, der den Hals deutlich
erkennen lässt, bereits hier Hinweis darauf ist, dass er sich
später den Strick um den Hals legt und erhängt. Die Hauptfigur
auf dem Bild aber ist Jesus. Leonardo da Vinci hat ihn zentral,
genau in der Mitte des Bildes platziert. Und die Fluchtlinien des
Raumes, der sich nach hinten verjüngt, sind auf Jesus bezogen,
die gesamte Perspektive des Bildes läuft auf Jesus zu. Formal
ist Jesus von den Jüngern abgesetzt: Rechts und links neben ihm
ist ein Abstand gelassen. Damit hebt er sich von allen anderen
Gestalten ab. Von der Unruhe der anderen Figuren bleibt er
unberührt. Leonardo weist mit dieser Darstellung und mit den
ausgebreiteten Händen Jesu auf die Einsetzungsworte hin:
Nimm
hin und iss, das ist mein Leib. Und: Nimm hin und
trink, das ist mein Blut. Für dich vergossen zur Vergebung der
Sünden.[2]
Die Geste, mit der Leonardo Jesus hier
darstellt, ist übrigens dieselbe, mit der häufig bis heute die
Gemeinde von Pfarrer/Pfarrerin eingeladen wird, zum Empfang des
Abendmahls nach vorne zu kommen, wenn es heißt:
Kommt
herzu, es ist alles bereit, schmecket und sehet, wie freundlich
der Herr ist.[3]
Deutung des Abendmahls
Was Jesus mit der Einsetzung
des Abendmahls eigentlich sagen wollte, dürfte im Durcheinander
der Jünger wohl untergegangen sein. Erst später haben sich die
Jünger und danach auch die Gemeinden wieder daran erinnert.
Jesus sagt damit: Oft mag es aussehen, als ob ich nicht da bin.
Viele werden mich vermissen und fragen: Wo bist du? Andere
möchten etwas spüren, aber sie spüren nichts. Dabei bin ich da.
Genauso wie Brot und Wein vor Augen sind, sie sind ein
Symbol für Gottes Vergebungstat, sie weisen aber zugleich auch
auf Grundnahrungsmittel hin, die der Mensch zum Leben braucht
genauso wie Brot und Wein vor Augen sind, genauso bin ich, Jesus,
da, real und wirklich bis zum Ende der Zeit.
Ich
bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende,
(Mt 28,20)
so die letzten Worte Jesu im
Matthäusevangelium. All das ist wahr, so Jesus.
Schmecket
und sehet, wie freundlich der Herr ist.
(Ps 34,9)
Abendmahlsfrömmigkeit
Von diesem Ausgangspunkt hat
sich auf sehr unterschiedliche Art und Weise entwickelt, was
Menschen beim Abendmahl empfinden. Ich meine jetzt gar nicht
einmal das unterschiedliche Verständnis des Abendmahls innerhalb
der christlichen Konfessionen. Vielmehr das: Mit welchen
Gefühlen gehen Sie zum Abendmahl? Was ist Ihnen wichtig? Ist es
die Gemeinschaft? Die Gemeinschaft in dieser Gemeinde? Oder das
Wissen, dass am Tisch des Herrn auf jedes Miteinander der
Schimmer der Unendlichkeit fällt? Oder ist ihnen beim
Abendmahl die Vergebung der Sünden wichtig? Dass wir da
zurücklassen dürfen, was uns schwer auf der Seele liegt? Dass
wir glauben dürfen, dass Neuanfang möglich ist und Gott das
für uns will? Oder ist Ihnen die Begegnung mit Jesus wichtig,
eine Vergewisserung, dass er unser Leben hält und uns so nahe
kommt, wie Brot und Wein? Oder werfen Sie den Blick voraus in die
Zukunft, wo Jesus am Ende der Zeit auf uns wartet und unser Leben
und das der Menschen, die vor uns gegangen sind, aufnimmt in sein
ewiges Reich? Ist es das? Mit welchen Gedanken, mit welchem
Gefühl werden Sie nachher nach dem Empfang des Abendmahls wieder
da Platz nehmen, wo Sie jetzt sitzen?
Im Abendmahl: Der Blick
voraus
Der Blick zurück zum letzten Mahl Jesu
und der Blick voraus auf den wiederkommenden Herrn konzentriert
sich beim Abendmahl an einer Stelle. Und zwar in den Worten:
Deinen
Tod, o Herr, verkünden wir. Und deine Auferstehung preisen wir,
bis du kommst in Herrlichkeit.[4]
Dieser Gedanke ist ausgedrückt auf der
Innenseite der Karte. Der Bezug zum Bild des letzten Abendmahls
Jesu ist unverkennbar. Die Umrisse der Figuren sind dieselben.
Auch Jesus in der Mitte ist gut zu erkennen. Und doch ist
alles wie verwandelt. So als ob sich die Erinnerung bemüht, noch
einmal alles hervorzuholen, um zu sehen, wie es gewesen ist. Aber
es zeigt sich jetzt anders, es zeigt sich neu. Hier sieht man
nicht mehr das vergangene Ereignis, es ist ähnlich, aber doch
anders. Als hätte sich alles aufgelöst, aber doch nicht
ganz, vielmehr hat es sich neu wieder zusammengesetzt. Was
geschehen ist damals , erscheint in hellem Licht, in
goldenem Glanz. In österlichem Glanz, im Glanz dessen, was kommt.
Im Glanz der Ewigkeit. Das ist unser Glaube. Paulus hat das
einmal so ausgedrückt.
Wir
werden aber alle verwandelt werden.
(1 Kor 15,51)
Er schreibt nicht, wie.
Spekulationen, wie wir uns das Leben danach vorstellen können,
die liegen ihm fern. Aber davon zu reden, dass das Leben Jesu und
mit ihm auch unser Leben weitergeht, davon wird er nicht müde zu
erzählen. Jesus ging voraus. Sein Weg durch das Leben in Höhen
und Tiefen, durch Schmerzen und Leid, sein Weg ist unser Weg. Und
so wird auch sein Weg durch den Tod und sein Weg durch die
Auferstehung unser Weg sein. Darauf können wir uns verlassen.
Und so wird sich unser Leben nicht auflösen; und Gemeinschaft
wird bleiben; und auch, was unser Leben lebenswert und wertvoll
machte. All das wird sich nicht auflösen, vielmehr wird es
verwandelt. Und wir werden Jesus wiedererkennen. Wie er seine
Hände ausbreitet und auf uns wartet auch auf Sie; auch
auf mich. Das ist die Botschaft des Abendmahls. Und deshalb
feiern wir Abendmahl. Auch heute. Hier.
Die Gedanken sind frei. Sie
wandern heute zurück an jenen Abend, an dem Jesus das Abendmahl
eingesetzt hat. Und sie wandern in die Zukunft des Reiches Gottes.
Bis wir dahin kommen, feiert christliche Gemeinde hier und
überall in der Welt Abendmahl. Auch in diese weltweite
Gemeinschaft sind wir mit einbezogen, wenn wir uns jetzt dann
einmal mehr vergewissern und gegenseitig bestätigen:
Deinen
Tod, o Herr, verkünden wir. Und deine Auferstehung preisen wir,
bis du kommst in Herrlichkeit.
Amen.
Christof Hechtel
[1] An dieser Stelle könnte zusätzlich die
eine oder andere Figur bzw. auch Figurengruppe näher beschrieben
werden. Die einzelnen Jünger von links sind: Bartholomäus,
Jakobus (Sohn de Alphäus), Andreas; Petrus, Judas, Johannes;
Jesus; Thomas, Jakobus (Sohn des Zebedäus), Philippus; Matthäus,
Thaddäus, Simon Zelotes.
[2] Vgl. Mt 26, 26-28.
[3]Vgl. Lk 14,17b; Ps 34,9.
[4] Vgl. 1. Kor 11,26.