Predigt zu Römer 12,17-21

 

17 Vergeltet niemals Unrecht mit neuem Unrecht. Verhaltet euch gegenüber allen Menschen vorbildlich. 18 Soweit es irgend möglich ist und von euch abhängt, lebt mit allen Menschen in Frieden. 19 Liebe Freunde, verschafft euch nicht selbst Recht. Überlasst vielmehr Gott das Urteil, denn er hat ja in der Heiligen Schrift gesagt: »Es ist meine Sache, Rache zu üben. Ich, der Herr, werde ihnen alles vergelten.« 20 Handelt so, wie es die Heilige Schrift von euch verlangt: »Wenn dein Feind hungrig ist, dann gib ihm zu essen; ist er durstig, gib ihm zu trinken. So wirst du ihn beschämen.« 21 Lass dich nicht vom Bösen besiegen, sondern besiege das Böse durch das Gute.

 

Liebe Gemeinde, haben Sie beim Hören auf den Predigttext vielleicht auch gedacht: Was denn noch alles? Was sollen wir denn noch alles tun, um es dem Apostel Paulus rechtzumachen? Was verlangt er da eigentlich von uns?

 

Und nicht nur er. In der Schriftlesung haben wir ja ähnliche Anweisungen auch schon von Jesus gehört:

Tu dies nicht, sondern tue das. Lass dieses sein, mache lieber jenes. Nimmt man beide Texte zusammen, sind das insgesamt sechzehn Imperative: Richtet nicht, verdammt nicht, vergebt, vergeltet nicht, rächt nicht, habt Frieden und so weiter und so fort. Und wenn man im Römerbrief die Verse vor und nach unserem Predigttext betrachtet, kommt da noch viel mehr von dieser Sorte. Jede Menge Gebote und Verbote!

 

Das ist ganz schön viel auf einmal. Vielleicht sogar zu viel, so dass es bei einigen von uns eine Abwehrhaltung auslösen könnte nach dem Motto: Zum rechten Ohr rein und zum linken wieder raus. Rede du nur, ich mache doch, was ich will! Wie damals, wenn unsere Eltern so mit uns geredet haben:

Räum dein Zimmer auf! Komm nicht so spät nach Hause!

Lass deinen Kram nicht ¸überall herumliegen! Sitz gerade beim Essen!

Irgendwann hat man dann einfach nicht mehr zugehört, sondern die Tür zugemacht und die Alten reden lassen.

Bis, ja, bis man dann selbst älter wurde, in einer Partnerschaft lebte, Kinder bekam und feststellen musste: So ganz Unrecht hatten die Eltern ja vielleicht doch nicht mit dem, was sie einem damals immer wieder gesagt haben.

 

Wo Menschen miteinander leben und auskommen müssen, braucht es Regeln. Sonst drohen schnell Chaos und Anarchie. Es mag sein, dass wir diese Regeln manchmal als einengend und störend empfinden.

Aber stellen Sie sich mal eine Welt ohne Regeln vor: Wenn das Eigentum nicht geschützt wäre und sich jeder einfach nehmen dürfte, was er möchte. Wenn auf unseren Straßen jeder ¸überall so schnell fahren dürfte, wie er wollte. Oder auch so ganz einfache Dinge: Wenn sich in einem Gespräch niemand an die Regel hielte, den anderen ausreden zu lassen. - Was wäre das für ein Geschrei! Diese wenigen Beispiele schon machen deutlich: Wir brauchen Regeln, damit ein Zusammenleben funktionieren kann.

 

Das ist nun keine besonders neue oder originelle Erkenntnis, sondern sie ist so alt wie die Menschheit selbst. Und als die Menschheit anfing, Dinge schriftlich festzuhalten, schrieb sie eben auch ihre Regeln auf. Die Zehn Gebote gehören wohl zu den bekanntesten, und die sind immerhin schon vor rund zweieinhalbtausend Jahren aufgeschrieben worden.

 

Um einiges jünger, aber nun auch schon fast 2000 Jahre alt ist Paulus - Brief an die Römer und damit die Anweisungen unseres Predigttextes, die in der Lutherbibel mit "Das Leben der Gemeinde" ¸überschrieben sind. Paulus war viele Jahre unterwegs gewesen, hatte missioniert, Gemeinden gegründet und sich aus der Ferne in seinen ersten Briefen immer wieder mit aktuellen Fragen der Gemeinden beschäftigt. An die Römer schreibt er nun einen Brief, ohne dass es dafür einen konkreten Anlass gibt. Darum ist dieser Brief so spannend und wichtig, denn er ist - vereinfacht gesagt - eine Zusammenfassung der paulinischen Theologie. Und zu dieser gehören auch die Regeln für das Leben in der Gemeinde:

Vergeltet niemandem Böses mit Bösem.

Seid auf Gutes bedacht gegenüber jedermann.

Habt mit allen Menschen Frieden.

Rächt euch nicht selbst.

Tut euren Feinden Gutes.

Lass dich nicht vom Bösen ¸überwinden, sondern ¸überwinde das Böse mit Gutem.

 

Nun kann man sagen, dass diese Regeln ja eigentlich nichts Besonderes sind. "Seid auf Gutes bedacht gegenüber jedermann" oder "Habt mit allen Menschen Frieden." Das ist so selbstverständlich, dass man sich schon fragen kann, warum Paulus das hier so explizit betont. Einen Hinweis darauf können uns die anderen Verse geben:

"Vergeltet niemandem Böses mit Bösem", "Rächt euch nicht selbst" oder "Beschämt eure Feinde, indem ihr ihnen Gutes tut."

Das kann man nur verstehen, wenn man sich die Situation der damaligen noch sehr jungen Christenheit vor Augen führt. Wir reden hier ja nicht von einer Weltreligion wie heute. Sondern wir reden von lauter kleinen Gruppen von Jüngerinnen und Jüngern, die sich - egal wo sie sich zu ihrem Glauben an Jesus Christus bekannten - permanent in Gefahr brachten. Ob das nun die Gemeinde in Jerusalem war, dem Ursprungsort, da, wo Jesus selbst tätig gewesen war. Sie galten als Sektierer, die sich von der jüdischen Synagoge abgewandt hatten und dem folgten, der als Gotteslästerer am Kreuz gestorben war. Oder die Mitglieder der Gemeinden in Korinth, in Thessaloniki, in Ephesus oder gar in Rom, die sich dadurch unbeliebt machten, dass sie sich weigerten, die Götter der Herrschenden zu verehren. Auf dieses Verhalten stand bestenfalls Gefängnis, nicht selten aber auch der Tod.

 

Und dann klingen unsere Sätze plötzlich ganz anders. Sie sind dann eben keine Selbstverständlichkeit mehr, sondern eine ganz große Herausforderung. Mit Menschen Frieden zu halten, die mich meines Glaubens wegen verfolgen und mich töten wollen. Mich nicht zu rächen, wenn wieder mal ein Mitglied der Gemeinde denunziert, verhaftet und hingerichtet wird. Meinen hungrigen und durstigen Feind zu versorgen, anstatt ihn seinem Schicksal zu ¸überlassen.

Das sind Forderungen, die es in sich haben. Das sagt sich leicht, ist aber doch so unendlich schwer.

 

Das kennen wir doch selbst aus unserem Alltag. Wie schwer fällt es uns oft, jemandem zu verzeihen, selbst wenn wir merken, dass seine Entschuldigung aufrichtig und ehrlich ist. Wie oft ballen wir die Faust in der Tasche und würden gerne zurückhauen, wenn uns jemand Unrecht getan hat. Und wenn es dabei tatsächlich um Leben und Tod gehen sollte, ist das doch gleich nochmal um ein Vielfaches schwerer. Aber was ist das Ende vom Lied? Wir steigern uns hinein, Fronten verhärten sich, und am Ende sind Freundschaften zerbrochen oder Teile der Familie reden nicht mehr miteinander.

 

So soll das nicht sein. Das hat Paulus schon vor 2000 Jahren erkannt.

Erst recht nicht in der christlichen Gemeinde. Und dann schreibt er einen Satz, der nicht nur als Tauf- und Konfirmationsspruch taugt, sondern der all das so wunderbar zusammenfasst und auf den Punkt bringt: "Lass dich nicht vom Bösen ¸überwinden, sondern ¸überwinde das Böse mit Gutem."

 

Dieser Satz enthält zwei Teile, die beide wichtig sind. Da ist der erste Teil: "Lass dich nicht vom Bösen ¸überwinden." In den Star-Wars-Filmen heißt das: Lass dich nicht auf die dunkle Seite der Macht ziehen. Wenn das nämlich geschieht, kommst du da nicht mehr heraus. Wenn dich das Böse ¸überwindet, dann verlierst du den Blick für das Gute und Schöne. Dann besteht dein Leben nur noch aus düsteren Gedanken, dann denkst du nur noch darüber nach, wie du es den anderen heimzahlen kannst. Und dann hat das Böse gewonnen.

Dann triumphieren die Unterdrücker, dann machst du dich selbst noch kleiner.

 

Das ist an sich schon eine riesige Herausforderung. Aber damit nicht genug, es kommt noch heftiger: "Sondern ¸überwinde das Böse mit Gutem." Hier ist Paulus ganz dicht bei den radikalen Forderungen Jesu. Seid barmherzig, richtet nicht, verdammt nicht, vergebt. Liebet eure Feinde, segnet die euch fluchen.

Noch einmal: Das sagt sich so leicht und ist so unendlich schwer.

Aber wer einmal die Erfahrung gemacht hat, wie nach einem furchtbaren Streit Versöhnung gelungen ist, der wird es immer und immer wieder versuchen. 1984 standen Helmut Kohl und Francois Mitterand Hand in Hand vor dem Gräberfeld im Verdun. Nach Jahrhunderten, in denen sich das deutsche und das französische Volk immer wieder bekämpft und bekriegt hatten, war das ein sichtbares Zeichen dafür, dass Hass und Gewalt ¸überwunden werden können.

 

Für einen wichtigen Satz halte ich diesen:  Ist's möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden. Wir sollen das tun, was uns möglich und was in unserer Macht steht. Wir dürfen etwas tun. Endlich. Sonst heißt es doch, wir bekämen alles geschenkt. Nein, hier wird ausdrücklich gesagt, dass wir das, was wir tun können, auch tun sollen. Ich finde es trotzdem als sehr entlastend, dass wir, wenn wir mit unserem Latein am Ende sind, alles in Gottes Hand legen können. Es kommt nicht nur auf uns alleine an, sondern auch auf den Anderen.

 

Ich habe Ihnen eine kleine Geschichte mitgebracht: Warum der Krieg unterblieb

 

Als der Krieg zwischen den beiden benachbarten Völkern unvermeidlich schien, schickten die Feldherren beider Seiten Späher aus, um zu erkunden, wo man am leichtesten in das Nachbarland einfallen könne. Die Kundschafter kehrten zurück und berichteten auf beiden Seiten dasselbe: Es gebe nur eine Stell an der Grenze, die sich dafür eigne: „Dort aber“, sagten sie, „wohnt ein braver Bauer in einem kleinen Haus mit seiner anmutigen Frau. Sie haben einander lieb, und es heißt, sie seien die glücklichsten Menschen auf der Welt. Sie haben ein Kind. Wenn wir nun über ihr Grundstück marschieren, dann zerstören wir das Glück. Also kann es keinen Krieg geben.“

Das sahen die Feldherren ein, und der Krieg unterblieb, wie jeder Mensch begreifen wird.

 

Wir brauchen Regeln, damit ein Zusammenleben funktionieren kann. Damit es aber nicht nur funktioniert, sondern besser wird, braucht es besondere Regeln. Wie gut, dass Paulus sie uns aufgeschrieben hat. Denn nur so kann Frieden werden. In unseren Familien, in unseren Gemeinden, in unserem Land und auf dieser Erde. Amen.