Liebe Gemeinde!

Man spricht heute gern von der Wertegemeinschaft, zu der wir uns bekennen. Es lohnt sich, einmal darüber nachzudenken, welche Werte gemeint sind. Vier sind mir wichtig: Wahrhaftigkeit, Toleranz, Fairness und Gemeinsinn. Wenn ich diese Werte durchbuchstabiere, kann ich mein Leben in der Wertegemeinschaft bewusster gestalten.

Christsein gestalten

Ich lebe –wie Sie alle – in unserer Wertegemeinschaft auch als Christ. Als Christ kann ich mich zu diesen Werten auch gut bekennen; als Christ weiß ich darüber hinaus aber auch, dass es vor den Werten noch Gaben gibt; Gaben, die Gott mir gegeben hat, Gaben, die einfach da sind und nicht vergehen können. Werte können verfallen, Gaben nicht. Wahrhaftigkeit geht verloren, wenn alles auf Lüge und Schein aufgebaut ist. Toleranz kommt unter die Räder, wenn die Achtung des Anderen schwindet. Fairness erlischt in der Ellenbogengesellschaft, Gemeinsinn weicht dem Egoismus. – Gaben dagegen sind nicht selbst-verordnet, sondern kommen von Gott. Sie können zwar ungenutzt liegen bleiben, aber nicht vergehen (1. Kor. 13,8). Sie sollen freilich nicht ungenutzt liegen bleiben, sondern ergriffen und gelebt werden.

Um welche Gaben geht es? Unser Predigtext nennt drei Gaben: den Geist der Kraft, den Geist der Liebe und den Geist der Besonnenheit. Und es geht darum, das Christsein aus diesen drei Gaben heraus zu gestalten. Hören wir, wie der Apostel Paulus das seinem Schüler Timotheus nahebringt. 2. Timotheus 1, 7-1

 

Denn Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit. 8 Darum schäme dich nicht des Zeugnisses von unserm Herrn noch meiner, der ich sein Gefangener bin, sondern leide mit für das Evangelium in der Kraft Gottes. 9 Er hat uns selig gemacht und berufen mit einem heiligen Ruf, nicht nach unsern Werken, sondern nach seinem Ratschluss und nach der Gnade, die uns gegeben ist in Christus Jesus vor der Zeit der Welt, 10 jetzt aber offenbart ist durch die Erscheinung unseres Heilands Christus Jesus, der dem Tode die Macht genommen und das Leben und ein unvergängliches Wesen ans Licht gebracht hat durch das Evangelium.

 

Gott hat uns gegeben Geist von seinem Geist. Nicht erst heute; nicht erst zur Zeit des Apostels, sondern von Anbeginn der Schöpfung an. Denn so sind wir zum Menschen geworden: Gott hauchte dem Erdenkloß Geist von seinem Geist ein, „und so wurde der Mensch ein lebendiges Wesen“ (Gen 2,7). Gott hat uns gegeben Geist von seinem Geist, Gott hat uns gegeben Kraft von seiner Kraft, Gott hat uns gegeben Liebe von seiner Liebe. Das hat Gott uns gegeben, damit wir unser Christsein in der Welt von heute und für die Welt von heute gestalten können.

Gestaltungsspielräume

Wir leben – Gott sei Dank – in einer anderen Welt als der Apostel Paulus und sein Schüler Timotheus. Damals wurden Christen vom Staat verfolgt; der Märtyrertod stand ihnen vor Augen, so auch dem Paulus, der schon im Gefängnis ist; und er sieht dieses Schicksal auch für Timotheus heraufziehen. Viel Gestaltungsspielraum für das Christsein bleibt da nicht mehr. Wo aber der Gestaltungsspielraum immer enger wird, da werden die Worte immer dichter. Und so sind diese Worte entstanden: „Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.“ Fürchte dich nicht! Unser Gestaltungsspielraum ist – Gott sei Dank – größer. So können wir uns Gedanken darüber machen, wie wir diese Gaben in unserer Zeit nutzen können.

Zunächst einmal hören wir die dichten Worte ganz anders, viel entspannter. Habe Mut, deine Zukunft in die Hand zu nehmen! Die Worte haben für uns etwas Zukunftweisendes, etwas Feierliches, etwas Würdevolles. Oft haben Brautpaare ihn als Trauspruch gewählt, immer wieder suchen ihn Konfirmandinnen und Konfirmanden aus. Gerne gibt man ihn auch kirchlichen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen mit auf den Weg. In ruhigen Zeiten haben sie auch die Zeit, sich langsam in uns zu entfalten, zu wirken und unser Leben zu beeinflussen. Eingeprägt und verinnerlicht wirken sie oft mehr als ausgelegt und zerredet. Wer auch dieser Meinung ist, der nehme heute einfach nur dieses Wort mit: „Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit“. Es wird seine Wirkung entfalten bis in den Alltag hinein. Wer mir aber noch ein bisschen folgen möchte, der darf sich gern noch ein Stück weit mitnehmen lassen. Nehmen Sie das Wort in sich auf: „Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit“. Genießen Sie ihn, diesen Geist! Er soll wirken. Innerlich. Er soll schmecken. Es ist wie mit einem Glas Wein. Ich schwenke das gefüllte Glas, ich rieche daran: Die Blume entfaltet sich. So entfaltet sich auch der Geist, den Gott mir eingehaucht hat. Er schmeckt nach Kraft und nach Liebe und nach Besonnenheit. Mit diesen Geistesgaben kann ich mein Christsein in dieser Welt und für diese Welt geistvoll gestalten.

Geist der Kraft

Kraft brauche ich in dieser Zeit. Damals wie heute ist die Kraft gefragt, zum Glauben zu stehen. Nicht Verfolgung bedroht uns in Europa, sondern die Sprachlosigkeit in Dingen des Glaubens. Wir haben es verlernt, vom Glauben zu reden, und darum verstecken wir ihn. Wir haben es verlernt, Geschichten zu erzählen, wie sie die Bibel erzählt. Wir haben es verlernt, unsere Erfahrungen in Worte zu fassen. Darum: Wir brauchen die Kraft, vom Glauben zu reden und so zu unserem Glauben zu stehen. Uns bedroht auch die Furcht vor Spott. Spötter hat es schon immer gegeben, solange es Glauben gibt. Schon der Psalm 1 zeugt davon: „Wohl dem, der nicht…sitzt, wo die Spötter sitzen“. Und eine alte antichristliche Karikatur zeigt einen Esel am Kreuz mit der Unterschrift: Alexander glaubt an einen Esel. Und der Sportkommentator Dieter Kürten berichtet, dass er in seinem ZDF-Postkorb Zettelchen fand mit der Aufschrift: „Kürten kennt Jesus“. Furcht vor Spott macht uns kraftlos, zu unserem Glauben zu stehen. Gott hat uns aber nicht den Geist der Furcht gegeben, sondern den Geist der Kraft; und der erkennt: Spötter sind hohl und intolerant. Kraftlosigkeit im Glauben entsteht schließlich auch durch missverstandene Toleranz, eine Toleranz, die alles duldet bis hin zur eigenen Konturlosigkeit. Hast du aber keine Kontur, hast du auch kein Gesicht. Du bist niemand. Gott hat dir aber die Kraft gegeben, Kontur zu zeigen. Nur wer Konturen zeigt, wird erkannt, wird ernst genommen, ist jemand, auch in der Vielstimmigkeit der Religionen.

Geist der Liebe

Der Geist der Liebe. Wir brauchen dieses vorwärtsstrebende Prinzip in uns. Wir brauchen aber ebenso auch das mäßigende Prinzip. Darum hat Gott uns als Pendant auch den Geist der Liebe gegeben. Auch ihn brauchen wir, um unser Christsein geistvoll in unserer Zeit zu gestalten. Über die Liebe hat Paulus in seinem Brief an die Korinther eigentlich schon alles gesagt: Die Liebe hat Geduld; sie ist nicht aufgeblasen. Sie handelt nicht taktlos, sie sucht nicht den eigenen Vorteil… Sie glaubt alles, hofft alles, trägt alles…  Können wir so unser Leben in dieser Welt gestalten? Warten lernen, mehr sein als scheinen? Zurückhaltend sein im Urteil über andere, das Wohl aller im Auge haben? Es fällt schwer. Wir brauchen schon viel Liebe aus Gottes Liebe. Gott gibt sie uns. Er hat sie uns gegeben. Darum ist nichts zu schwer für die Liebe.

Geist der Besonnenheit

Die Kraft das vorwärtsdrängende, die Liebe das mäßigende Prinzip. Es gibt eine Verbindung zwischen beiden, und das ist der Geist der Besonnenheit. Der Geist der Besonnenheit ist der Geist der Besinnung auf Gott. Wenn ich mich auf Gott besinne, werde ich herausfinden, welchen Geist ich im Moment mehr gebrauche, den Geist der Kraft oder den Geist der Liebe. Besonnenheit ist Besinnung auf Gott. Zumindest in unserer christlichen Lebensgestaltung heute. Besonnenheit ist freilich schon eine antike Tugend: „Was du auch tust, tue es klug und bedenke das Ende“, eine alte philosophische Weisheit, auch außerhalb des Christentums. Wie wäre es, wenn wir sagten: „Was du auch tust, tue es klug und schaue auf Christus“? Auf jenen Christus, der dem Tode die Macht genommen und das Leben und ein unvergängliches Wesen ans Licht gebracht hat.

 

Weil uns Gott diese Gaben gegeben hat, brauchen wir uns des Evangeliums nicht zu schämen. Wir brauchen es nicht verstecken, sondern wir dürfen Zeugen sein. Ja, wir sollen es sogar sein. Dein das ist unser Auftrag. Darum gehet hin und lehret alle Völker: Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe.

Alles, was wir zur Erfüllung dieses Auftrages brauchen, hat uns Gott gegeben. Den Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit. Gott selbst hat uns berufen und durch seinen Heiligen Geist gerufen. Und er ruft uns nicht, weil wir so gut wären oder besonders gute Werke tun, sondern er beruft uns nach seinem Ratschluß und seiner Gnade. Ohne die Gnade, die uns durch Jesus Christus gegeben ist, können wir nichts. Jesus hat dem Tod die Macht genommen, damit wir, wenn Jesus in Herrlichkeit wiederkommt, zu ihm kommen können. Das ist die Gnade unseres Lebens- unseres ewigen Lebens. Ich wünsche mir diesen Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit für uns hier in St. Petrus. Für den Glaubenskurs Spur 8. Dass wir Zeugnis geben für unseren Herrn und Gott. Um Menschen für Gott zu gewinnen.

 

In einem modernen Kirchenlied heißt es:

Laß uns in deinem Namen, Herr, die nötigen Schritte tun.

Gib uns den Mut, voll Glauben, voll Liebe, voll Hoffnung,

heute und morgen zu handeln.

 

So spreche ich Amen. So soll es sein.