Johannes 12, 3436
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus
und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes
sei mit euch allen! Amen.
Ein Paar hat ein Kind bekommen. Es ist
eine schwere, eine dunkle Zeit. Es gibt nicht genug zu essen,
kaum Holz für ein Feuer. Der Mann macht sich auf den Weg, findet
eine alte Planke. Die nimmt er mit und macht Feuer in einem
kleinen Blechofen. Als er die Ofentür auf-macht, fällt eine
Handvoll Licht über das Gesicht des schlafenden Kindes. Auf
einmal stehen Männer an der Tür. Wir haben das Licht gesehen,
sagen sie. Wir wollen uns zehn Minuten hinsetzen. Aber wir haben
ein Kind, sagt der Mann zu ihnen. Wir sind ganz leise, flüstern
sie und heben die Füße hoch. Dann fällt das Licht auch auf sie.
Drei sind es, drei Männer in alten Uniformen. Der eine nimmt ein
Stück Holz aus seinem Beutel. Ein Esel, sagt er, ich habe sieben
Monate daran geschnitzt. Für das Kind, sagt er, und gibt ihn dem
Mann. Der andere nimmt aus einem Pappkarton zwei gelbe Bonbons
und sagt dazu: Für die Frau sind die. Dann beugen sich alle drei
über das Kind. Die Frau macht die Augen weit auf; sie fürchtet
sich. Aber da macht das Kind den Mund weit auf und schreit so
kräftig, dass die drei Männer die Füße aufheben und zur Tür
gehen. Hier nicken sie noch einmal, dann verschwinden sie wieder
in der Nacht. Der Mann sieht ihnen nach. Das Kind hat geschrien,
flüstert die Frau, ganz stark hat es geschrien. Guck mal, wie
lebendig es ist, sagt sie stolz. Und vom Ofen her fällt eine
Handvoll Licht hell auf das kleine schlafende Gesicht.
Eine Geschichte aus dunklen Tagen, die
der Schriftsteller Wolfgang Borchert kurz nach dem Zweiten
Weltkrieg erzählt. Behutsam, mit aller Vorsicht, erzählt er
trotz allem von dem Licht in der Dunkelheit. Von dem Licht, das
aus dem Ofen fällt. Auf das Neugeborene. Von
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Seine Sendung als Licht der Welt
bedeutete aber schon damals nicht, dass alle Menschen in diesem
Licht stehen. Um Anteil am Licht zu bekommen brauchte es damals
und braucht es auch heute mehr. Was es braucht, darüber spricht
der Predigttext des heutigen Sonntags aus dem Johannesevangelium.
(Lesung des Predigttextes: Joh 12,3436)
Viele der Versammelten wandten ein:
"Aus dem Gesetz wissen wir doch, dass Christus für immer
bei uns bleiben wird. Wie kannst du dann sagen: 'Der Menschensohn
muss erhöht werden' ? Wer ist eigentlich dieser Menschensohn?"
35 Jesus
erwiderte: "Das Licht ist nur noch kurze Zeit bei euch.
Nutzt diese Zeit, macht euch auf den Weg, bevor euch die
Dunkelheit überfällt. Wer im Dunkeln geht, kann weder Weg noch
Ziel erkennen. 36
Vertraut euch dem Licht an, solange ihr es habt, dann werdet ihr
im Licht leben." Nach diesen Worten verließ Jesus die Menge
und versteckte sich vor den Leuten.
Vor diesen Worten hat Jesu von seinem
bevorstehenden Tod gesprochen und der damit verbundenen
Verherrlichung. Seine Zuhörer sind irritiert. Es passt nicht zu
ihren Vorstellungen, dass der Messias, wenn er einmal da ist,
wieder weggeht. Doch Jesus lässt sich auf keine Diskussion
darüber ein. Er lenkt den Blick der Zuhörenden zurück auf ihr
eigenes Leben. Jetzt, hier, in diesem Augenblick, ist das Licht
bei euch. Heil ist jetzt in die Welt gekommen. Nicht erst am Ende
der Zeiten, sondern eben jetzt schon. Und für einen jeden stellt
sich die Frage, ob er oder sie daran Anteil haben möchte. Und
wenn ja, wie das geschehen kann. In zweifacher, jeweils leicht
veränderter Form zeigt Jesus den Weg zu einem Leben in seinem
Licht auf. Wandelt, solange ihr das Licht habt, damit euch die
Finsternis nicht überfalle. Glaubt an das Licht, solange ihrs
habt, damit ihr Kinder des Lichtes werdet. Im Glauben daran, dass
in Jesus Christus das Licht der Welt gekommen ist, im Vertrauen
darauf, dass in ihm Gottes Heil nahe kommt, ist ein Leben im
Licht begründet. Und nicht weniger, denn das gehört zum Glauben
untrennbar dazu, im entsprechenden Wandel, in der Nachfolge Jesu.
Wer ihm nachfolgt, in seinem Sinne lebt, dem ist nichts weniger
verheißen als ein Kind des Lichts zu sein, aus der Kraft des
Lichts zu leben, das Jesus Christus selbst ist.
Was aber meint ein solches Leben im Licht? Auf das Entscheidende weist Jesus in seiner Mahnung bereits hin: Wer im Dunkeln geht, verliert leicht die Orientierung, stößt sich hier und da den Kopf, weiß nicht, wohin es gehen soll. Im Licht hingegen ist die Orientierung leichter. In Jesu Weg, Wirken und Verkündigung ist solche Orientierung zu finden. Die Fragen nach dem Woher und dem Wohin des Lebens können bei ihm eine Antwort finden. Johannes Zwick hat diese
Orientierung
im 16. Jahrhundert poetisch zusammengefasst: »Er ist das Licht
der ganzen Welt, das jedem klar vor Augen stellt den hellen,
schönen, lichten Tag, an dem er selig werden mag.« Die Frage
nach dem »Wie des Lebens« kann im Licht der Welt ihre Antwort
finden: Wer seinen Bruder liebt, der bleibt im Licht, so heißt
es im 1. Johannesbrief. Das lässt sich im Sinne der Botschaft
Jesu zu »Wer seinen Nächsten liebt, der lebt im Licht«
ausweiten. Und im Epheserbrief werden dem Licht drei Früchte
zugeschrieben: Güte, Gerechtigkeit und Wahrheit.
Jeder von uns trifft an jedem Tag
zahllose Entscheidungen. Viele davon sind für die Frage, lebe
ich im Licht, wichtig. Ist mein Handeln so, dass es auch für
andere, für die Gemeinschaft, in der ich lebe, gut ist?
Entspricht es der biblischen Vorstellung von Güte und
Gerechtigkeit? Bringt mein Handeln auch anderen etwas vom Licht?
Wer sich um die Nachbarin kümmert, die nicht mehr gut zu Fuß
ist, einkauft für sie und sonst noch so manche Hilfe anbietet,
bringt ihr etwas vom Licht. Wer einen Menschen auf schweren Wegen
begleitet, in Krankheit zur Seite steht, gibt etwas vom Licht
weiter.
Wer sich entscheidet, beim Einkauf auf
fair gehandelte Produkte zu achten, die den Erzeugern ein
Mindesteinkommen und sozial erträgliche Arbeitsverhältnisse
sichern, gibt Licht weiter, sogar dorthin, wo er selbst es wohl
nie sehen wird.
Glaubt an das Licht, solange ihrs
habt, damit ihr Kinder des Lichtes werdet. Wenn wir daran glauben,
dass Jesus Christus das Licht der Welt ist, dass in ihm Leben und
Heil begründet sind, dann sind wir Kinder des Lichts. Und wenn
wir ihm nachfolgen und aus der Kraft seines Lichts leben und es
anderen weitergeben. Wir können sein Licht nur weitergeben, weil
wir sein Licht als Geschenk bekommen. Von ihm mit Licht erfüllt
sind. Wir geben nur weiter, was wir zuvor empfangen haben. So wie
wir es in der Epistellesung aus dem 2. Korintherbrief gehört
haben. Denn Gott, der sprach: Licht soll aus der Finsternis
hervorgehen, der hat einen hellen Schein in unsere Herzen gegeben.
So beschreibt der Apostel Paulus die Gabe des Lichts, die in
jeder Taufe geschieht. Durch unsere Taufe sind wir mit dem Licht
Beschenkte,
auch wenn wir es nicht immer im Leben realisieren. Wandelt,
solange ihr das Licht habt, damit euch die Finsternis nicht
überfalle. Glaubt an das Licht, solange ihrs habt, damit
ihr Kinder des Lichtes werdet. Jesu Mahnung und Verheißung
weisen uns darauf hin, dass und wie wir es leben können, an
seinem Licht Anteil zu haben. Im Glauben und in der Nachfolge.
Und hoffentlich ein Mensch, dem wir begegnet sind, sagen kann:
Ich habe etwas vom Licht gesehen. Vielleicht sogar mitten im
Dunkel.
Amen.
Und der Friede Gottes, welcher höher ist
als alle Vernunft, regiere unsere Herzen, in Jesu Christus
Amen