Jesaja 43, 1-7

 

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen! Amen.


Liebe Gemeinde!
Was ist eigentlich ein Mensch wert? Ein Mensch ist ungefähr zehn Euro wert. So würde uns ein Chemiker auf diese Frage antworten. Wenn wir die chemischen Bestandteile, aus denen unser Körper zusammengebaut ist, in einem Chemielabor verkaufen wollten, dann bekämen wir etwa diese Summe. Die chemischen Substanzen unseres Körpers sind nämlich nicht besonders wertvoll. Unser Körper besteht zu zwei Drittel aus Wasser und zu einem Fünftel aus Kohlenstoff. Dazu kommen ein bisschen Sauerstoff, ein bisschen Stickstoff und ein paar andere Elemente in kleinen Mengen. Viel mehr als zehn Euro sind dafür nicht zu bekommen.
Zehn Euro - das ist nicht einmal der Betrag, den wir jeden Tag aufwenden, um unser Leben zu erhalten. Wenn wir alles zusammenzählen an Essen und Trinken, an Kleidung, Wohnung und Heizung, an Versicherungen und vielem anderen, dann geben wir jeden Tag weit mehr als zehn Euro für unseren Lebensunterhalt aus. So wenden wir für unser Leben ein Vielfaches von dem auf, was es nach der chemischen Analyse überhaupt wert ist. Was ist eigentlich ein Mensch wert? Wenn wir dieselbe Frage einer Versicherungsfachfrau stellen, dann bekommen wir eine ganz andere Antwort. Zum Glück. Die Frau von der Versicherung würde etwa sagen: „Zehn Euro? Das ist ja lächerlich. Allein ein Finger ist schon 2000 € wert. Ein Arm ist 17000 € wert, ein Bein 35000 € und das Gehirn 100 000 €.“ Wenn man das alles zusammen zählt, dann ist ein Mensch ungefähr eine halbe Million Euro wert. Jedenfalls kann man sich so hoch versichern lassen. Und wenn man gut bei Kasse ist, dann geht es auch noch höher. Was ist ein Mensch wert? Zehn Euro oder eine halbe Million Euro? Oder vielleicht sogar noch mehr? Oder vielleicht auch gar nichts? Wenn wir auch nur halbwegs aufmerksam die Nachrichten verfolgen, dann wissen wir wohl, dass Millionen von Menschen auf dieser Welt anscheinend gar nichts wert sind. In Bürgerkriegen, in Befreiungskämpfen, bei so genannten ethnischen Säuberungen, in Flüchtlingslagern, bei Hungerkatastrophen sterben Menschen zu
Tausenden. Aber was ist schon ein einzelner Mensch, wenn es um die Macht geht? Wie sehr ein einzelnes Menschenleben wertlos wird im Planen der Mächtigen, das kann ein Begriff aus der Sprache der Militärstrategen deutlich machen. Das ist das Wort: Megatoter. Wissen Sie, was das ist? Ein Megatoter – das ist die Summe von einer Million toter Menschen. Wenn es in Zukunft einmal zu einem Krieg kommen sollte, bei dem Atomwaffen eingesetzt würden, dann gibt es so viele Millionen Tote, das man mit diesen Zahlen anscheinend schlecht rechnen kann. Da werden kurzerhand eine Million Tote zusammengefasst, und das ergibt die Summe: ein Megatoter. Und fünf oder zehn Megatote sind dann anscheinend nicht viel.
So nichts ist unser Leben wert, dass es für manche militärischen Planer eine Million Mal getötet werden kann, bis es einen Megatoten ergibt. Eine Million mal Männer, Frauen, Kinder – erschossen, zerrissen, zerquetscht, verbrannt, vergiftet, verstrahlt – eine Million Mal Schmerzen, Leid und Tod. Das alles wird rechnerisch zusammengefasst zur Größe: ein Megatoter.
Was ist ein Mensch wert, liebe Gemeinde? Zehn Euro? Eine halbe Million Euro? Oder einfach nichts? Zu dieser Frage hören wir das heutige Predigtwort aus dem Buch des Propheten Jesaja, im 43. Kapitel: So spricht der Herr, der dich geschaffen hat, Jakob, und dich gemacht hat, Israel: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein!  Wenn du durch Wasser gehst, will ich bei dir sein, dass dich die Ströme nicht ersäufen sollen; und wenn du ins Feuer gehst, sollst du nicht brennen, und die Flamme soll dich nicht versengen. Denn ich bin der Herr, dein Gott, der Heilige Israels, dein Heiland.
Ich habe Ägypten für dich als Lösegeld gegeben, Kusch und Seba an deiner Statt, weil du in meinen Augen so wert geachtet und auch herrlich bist und weil ich dich lieb habe. Ich gebe Menschen an deiner Statt und Völker für dein Leben.  So fürchte dich nun nicht, denn ich bin bei dir. Ich will vom Osten deine Kinder bringen und dich vom Westen her sammeln, ich will sagen zum Norden: Gib her! und zum Süden: Halte nicht zurück! Bring her meine Söhne von ferne und meine Töchter vom Ende der Erde, alle, die mit meinem Namen genannt sind, die ich zu meiner Ehre geschaffen und zubereitet und gemacht habe.

Die Menschen, die hier angesprochen sind, haben in etwa dieselbe Frage, wie wir sie gerade hatten: „Was ist ein Mensch wert?“ Wir haben über diese Frage theoretisch nachgedacht. Die Menschen, die hier angeredet sind, werden davon in einer großen Not bedrängt. Die Verzweiflung, die Resignation schreit diese Frage aus ihnen heraus: „Was sind wir eigentlich noch wert?“ Wir können dieses verzweifelte Fragen wahrscheinlich verstehen, wenn wir wissen, von welcher Not sie bedrängt waren. Es sind Menschen des Volkes Israel, die so fragen. Sie sind nicht in ihrer vertrauten Heimat, nicht in Israel, nicht in Jerusalem. Sie sind gut tausend Kilometer weit weg in einem fremden Land und in einem fremden Volk. Sie sind in Babylonien. Dort sind sie nicht als Gäste, nicht einmal als geduldete Asylbewerber. Sie sind dort Gefangene. Nach unserer Zeitrechnung im Jahr 583 v. Chr. stand das babylonische Heer vor Jerusalem und die Stadt wurde erobert. Die Stadtmauern wurden geschleift, die Häuser zerstört und geplündert. Der Tempel ging in Flammen auf. Alle führenden Leute wurden aus Jerusalem abtransportiert nach Babylon: der Königshof, die Beamten, die Ingenieure, die besten Handwerker. Was war aus Israel geworden? Ein zerrissenes, elendes Häuflein Menschen. Die einen: führerlos geworden, in den Trümmern der zerstörten Stadt Jerusalem, kontrolliert von den Soldaten der babylonischen Besatzungsmacht. Die anderen: tausend Kilometer weit davon entfernt in Babylon. Sie waren zwar nicht in Ketten gelegt und nicht in Gefängnissen eingesperrt. Sie lebten in einer Art großem Ghetto. Aber sie waren bedeutungslos. So bedeutungslos wie ein Tropfen Wasser in einer vollen Badewanne. Sie konnten nicht über sich selbst bestimmen. Wenn sie etwas für sich gefordert hätten, dann hätte der babylonische König Nebukadnezar oder sein Nachfolger nur gelacht und gesagt: „Was wollt ihr eigentlich? Ihr gehört mir! Alles, was ihr seid und was ihr dürft, bestimme ich – und niemand sonst!“
Wir brauchen nicht viel Phantasie, um uns in diese Menschen hineinzudenken. Wie finster, wie hoffnungslos muss es in ihren Herzen ausgesehen haben. Ich kann mir gut vorstellen, dass sie - laut oder leise - verzweifelt oder voll ohnmächtiger Wut gefragt haben: „Was sind wir eigentlich wert? Nichts, gar nichts. Wir sind zerrieben zwischen den Interessen der Mächtigen.“
Und dann war da noch ein anderer Gedanke - und der hat die verzweifelten Menschen des Volkes Israel noch tiefer in ihre Verzweiflung hineingedrückt. Sie haben gedacht und sie haben es auch so empfunden: „Wir sind nicht nur vor den Menschen nichts wert. Wir sind sogar vor Gott nichts wert. Wir sind so klein, so erbärmlich, so elend, dass Gott sich für uns schämen müsste. Und deswegen hat er sich von uns abgewendet. Er hat uns allein gelassen. Er kennt uns nicht mehr.“ In diesen Gedanken waren die Menschen des Volkes Israel eingeschlossen wie in einem Gefängnis. Aus dieser Hoffnungs-losigkeit, aus diesem Gedankengefängnis mussten die nieder-gedrückten Menschen behutsam herausgelöst werden. Das geschieht durch die Tröstungen und durch die Ermutigungsreden, die im zweiten Teil des Jesajabuches aufgeschrieben sind. In den Versen unseres Predigtwortes hören wir eine dieser großen Ermutigungs-reden. Es ist gerade so, wie wenn Gott die Argumente der Hoffnungslosigkeit Zug um Zug entkräftet. Die Argumente Gottes lauten etwa so:
„Ihr Volk Israel sagt: „Gott kennt uns nicht mehr. Er hat uns vergessen.“ Ich sage: „Ich kenne euch; ich, der lebendige Gott, rufe euch sogar mit Namen – Jakob, Israel, so heißt ihr doch! Merkt ihr, dass ich euch kenne?“ Ihr sagt: „Wir sind gefangen; wir gehören mit Leib und Leben dem König Nebukadnezar.“ Ich sage euch: „Ich befreie euch. Ihr gehört mir, dem lebendigen Gott. Ich habe euch als Volk Israel ins Leben gerufen. Und zu diesem Volk sage ich: du bist mein.“ Ihr sagt: „Wir sind nichts wert!“ Ich sage euch: „Ihr seid mir soviel wert wie alle Großmächte dieser Welt zusammen – Ägypten, Äthiopien und Saba.“
Und wenn ihr jetzt sagt: „Aber – wir sind doch erbärmlich, wir sind doch bedeutungslos, wir sind doch ein Nichts vor den Völkern…“ dann sage ich euch: „In der Tat – ihr seid erbärmlich, ihr seid bedeutungslos, ihr seid ein Nichts vor den Menschen. Aber: in meinen Augen seid ihr teuer und wertvoll, weil ich euch lieb habe.“ Das sind die Worte aus der Trostrede Gottes an sein Volk. Und im letzten Satz dieser Rede, da liegt der Schlüssel für die Frage: „Was ist ein Mensch wert?“
Ein Mensch ist soviel wert, wie andere ihm an Wert beimessen. Der Materialwert unseres Körpers ist dabei ebenso unerheblich wie die Höhe unserer Lebensversicherung. An einem einfachen Beispiel können wir uns das deutlich vor Augen führen. Da ist ein kleines Baby, ein paar Wochen alt. Das schreit, das muss gefüttert werden, das macht in die Windeln. Das tut den ganzen Tag nichts und macht bloß Arbeit. Und die Eltern – sind ganz außer sich vor Freude, sie versorgen es, sie tragen es herum, sie küssen es ab. Und wie kommt das? Die Eltern sehen ihr Kind mit Augen, die vom Herzen her schauen. Die Eltern sehen ihr Kind mit den Augen der Liebe. Und deswegen ist ihnen dieser kleine Faulpelz und Vielfraß, der schreit und stinkt, so lieb wie das eigene Leben. Genauso schaut Gott uns an, liebe Gemeinde. Er schaut uns an mit den Augen seiner Liebe. Und deswegen sind wir in Gottes Augen so wertvoll. Der Wert, den ein Mensch vor Gott hat, lässt sich mit nichts auf dieser Welt aufwiegen. Wir können die USA, Russland und China zusammenlegen. Das sind nur Cent - Beträge gegenüber dem Wert, den Gott uns Menschen wirklich beimisst. Wenn wir wissen wollen, was ein Mensch wirklich wert ist, dann müssen wir auf Jesus schauen. Mit Jesus hat Gott sein eigenes Leben eingesetzt, um unser Leben zu retten für die Ewigkeit. So unendlich wertvoll sind wir. Wir sind so wertvoll, weil Gott uns liebhat wie sein eigenes Leben. In der Taufe wird uns dieser unendliche Wert zugesprochen und in uns versiegelt.  In der Taufe hat Gott jedem von uns versprochen, woran wir heute erinnert werden: „Du bist unendlich wertvoll für mich. Wie du auch immer dran bist: ob alt, ob krank, ob Schmerzen dich plagen, ob du erfolgreich warst im Leben oder nicht – du bist unendlich wertvoll für mich. Lass dich nicht irre machen, wenn der Marktwert deines Körpers nur zehn Euro beträgt. Du bist unendlich wertvoll für mich. Lass dich nicht irre machen, wenn du eine Million mal sterben müsstest, bevor man dich als einen Megatoten registriert - du bist unendlich wertvoll für mich. Wenn keiner sich um dich kümmert, wenn keiner dich kennt, ich kenne dich mit Namen. Ich habe Jesus für dich in den Tod gegeben. Lass dich nicht irre machen – du gehörst nicht den Chemielaboren, nicht den Versicherungsleuten, nicht den militärischen Strategen, du gehörst mir. Und du bist unendlich wertvoll, weil ich dich lieb habe. Mein Wert ist in dir versiegelt. Du bist getauft. Durch Jesus Christus bist du mit meinem Leben zusammengebunden für die Ewigkeit. Und darum:
Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein!
Amen.

 

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, regiere unsere Herzen, in Jesu Christus      Amen