Lukas
7, 11 - 16
Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi und
die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei
mit euch allen.
11 Und es begab
sich danach, dass er in eine Stadt mit Namen Nain ging; und seine
Jünger gingen mit ihm und eine große Menge. 12 Als er aber
nahe an das Stadttor kam, siehe, da trug man einen Toten heraus,
der der einzige Sohn seiner Mutter war, und sie war eine Witwe;
und eine große Menge aus der Stadt ging mit ihr. 13 Und als sie
der Herr sah, jammerte sie ihn und er sprach zu ihr: Weine nicht!
14 Und trat
hinzu und berührte den Sarg, und die Träger blieben stehen. Und
er sprach: Jüngling, ich sage dir, steh auf! 15 Und der Tote
richtete sich auf und fing an zu reden, und Jesus gab ihn seiner
Mutter. 16 Und Furcht
ergriff sie alle, und sie priesen Gott und sprachen: Es ist ein
großer Prophet unter uns aufgestanden, und: Gott hat sein Volk
besucht. 17 Und diese
Kunde von ihm erscholl in ganz Judäa und im ganzen umliegenden
Land.
Liebe Gemeinde,
Das waren wohl zwei Züge, wie sie
unterschiedlicher nicht sein konnten. Da der Trauerzug der aus
der Stadt kam und dann der Zug mit Jesus und seinen Jüngern und
den Leuten die mitzogen, die in die Stadt reinwollten.
Der Zug um Jesus mit Leuten, die eine längere Wanderung hinter
sich hatten. Die Menschen haben sich zu Jesus gesellt, weil sie
merkten, der ist was besonderes. Sie hatten erlebt, dass er ihnen
was zu sagen hatte. Er hat ihnen eine Perspektive eröffnet. Sie
hatten Zuversicht gewonnen, konnten voller Freude wieder in die
Zukunft sehen. Sie sahen einen Sinn im Leben. Und sie hatten in
Jesus einen Menschen erlebt, der sie ernst nahm, bei dem merkten
sie, dass sie was wert sind. Und, oft hat man ja eine bestimmte
Angst, großen Menschen gegenüberzutreten, man fühlt sich so
entsetzlich klein ihnen gegenüber. Genau das war bei Jesus nicht
der Fall.
Natürlich waren auch Leute dabei, die auf irgendeine Sensation
warteten. In der Nähe Jesu passiert doch immer was, und wenn er
sich auch nur ein Streitgespräch mit den Pharisäern lieferte.
Pharisäer sind schrecklich ordentliche und fromme Menschen, die,
weil sie so fromm sind, Gott für sich gepachtet zu haben
scheinen. Ein bisschen guckten sie auf alle anderen herunter. Ich
kann mir die heimliche Freude schon vorstellen, die einfache
Menschen empfinden müssen, wenn diese Pharisäer im
Streitgespräch mit Jesus einfach alt aussehen und den Kürzeren
ziehen.
Aber dann kommt da der andere Zug. Die arme Frau muss diesen Weg
schon zum zweiten Mal gehen. Ihr Mann war gestorben, so war ihr
Sohn der einzige Sinn in ihrem Leben geblieben. Man muss wissen,
es gab ja keine Rentenversicherung. So hatten die Kinder für
ihre Eltern aufzukommen. (Du sollst deinen Vater und deine Mutter
ehren, auf dass du lange lebest in dem Lande, das dir der Herr
dein Gott, geben wird, heißt das 4. Gebot!). Und nun war da
niemand mehr. So hatte die arme Frau nur noch die Alternative,
von Almosen zu leben. Zu der Trauer um den geliebten Sohn, dass
er so unwiederbringlich weg ist, kommt noch die wirtschaftliche
Unsicherheit. Die Trauer, dass sie trotz all ihrer Liebe zu ihrem
Kind, es nicht bewahren konnte, dass es mitten im Leben so
unwiderrufliches Zerreißen von Gemeinschaft, Hoffnungen und
gegenseitiger Freude geben kann. Sie kann nur weinen, sie ist
untröstlich.
Viele Einwohner von Nain zogen mir ihr, trauerten mit ihr.
Vielleicht war sie und ihr Sohn in der Stadt beliebt. Und nun
stoßen diese beiden so unterschiedlichen Züge aufeinander. Die
Straße ist vermutlich so eng, dass sie nicht einfach aneinander
vorbei kommen können.
Wie geht es uns eigentlich, wenn wir so mit dem Tod konfrontiert
werden? Durch die Medien kriegen werden wir ja tagtäglich Tod
und Sterben zu sehen. Trotzdem, wie geht es uns, wenn wir direkt
in unserer Nähe mit dem Tod konfrontiert werden?
Da bekommt ein naher Angehöriger die Diagnose "Krebs".
Da schreckt man zurück. So oft habe ich gehört, dass Ehen daran
kaputt gegangen sind. Man möchte den Anderen nicht belasten und
will nicht drüber reden. Man hat Angst, aber man verdrängt sie,
um dem Anderen nicht noch mehr Sorgen zu bereiten. Ja, man kriegt
auch ein bisschen Angst vor dem Kranken, als könnte das
anstecken. Wir sehen ja auch immer den eigenen Tod, wenn wir mit
dem Tod Anderer konfrontiert werden. Weil jeder daran denkt, es
aber nicht darüber gesprochen wird, weiß man bald nicht mehr,
was man überhaupt miteinander reden soll. Man lebt aneinander
vorbei! Gute Ehen sind daran schon zerbrochen. Dabei wäre ein
Gespräch so hilfreich. Wenn man zusammen über seine Sorgen
reden könnte, vielleicht sogar zusammen weinen könnte. Das
würde so viel Druck aus der Beziehung nehmen.
Ich bin meiner alten Mutter heute noch unendlich dankbar. Sie war
"alt und lebenssatt", wie die Bibel so sagt. Sie wusste
dass sie bald sterben würde. Und da hat sie mich zu sich gebeten.
Da waren ein paar Konflikte, die ganz weit zurückreichten.
Darüber haben wir gesprochen und wir baten uns gegenseitig um
Verzeihung! Und dann haben wir ihre Trauerfeier und was sonst
noch nötig ist, besprochen. Ich glaube ich habe mich ihr nie so
nahe gefühlt. Da war eigentlich mehr eine Freude über die Nähe
als die Trauer über den baldigen Tod. Irgendwie war der ganz
natürlich.
Aber ganz anders hier in unserer Geschichte. Da war ein junger
Mann aus dem Leben gerissen worden. Wir wissen nicht, was
geschehen war. Aber ein solcher Tod ist immer unbegreiflich, ist
schrecklich und erscheint so grenzenlos sinnlos. Wir hören, dass
die Mutter weinte.
Jesus bleibt nicht einfach stehen, er schaut hin. Er lässt sich
von dem Leid der Mutter berühren. Und er hatte nicht einfach
"Mitleid", nein, sie tat ihm sehr leid. Menschen mit
Mitleid leiden mit. Sie begeben sich in dieselbe Situation wie
der Leidende. Um es in einem Beispiel zu sagen: Wenn Jemand in
die Grube gefallen ist, springt der Mitleidende hinterher und
dann sitzen sie beide ausweglos drin.
Wenn es Jemanden leid tut, dann fühlt er das Leid des Anderen,
weiß aber, dass er eben nicht selbst in der Grube sitzt. Weil er
aber das Leid fühlt, möchte er es ändern. Jesus tritt an, es
zu ändern. Er sieht und fühlt das Leid der Witwe. So geht er
auf sie zu und sagt: "Weine nicht."
Was ist das für eine Zumutung! Die Frau hat doch alles Recht der
Welt, zu weinen. Was für ein großes Glück, dass sie das
überhaupt kann. Sie könnte auch auf alle Welt wütend sein,
dass ihr das nun passiert ist. Oder sie könnte voller
Selbstvorwürfe sein: Warum konnte ich mein Kind denn nicht
besser schützen. Warum musste ich so versagen. Was bin ich für
eine schlechte Mutter. Nein, sie trauert und sie weint.
Wir können es ja nicht ertragen, wenn Jemand weint. Unser "Weine
nicht" kann auch bedeuten: Ich will deine Not nicht sehen.
Mach ein fröhliches Gesicht, sonst geht es mir schlecht.
Und da kommt nun Jesus und sagt: "Weine nicht!" "Es
ist gut, dass du weinen kannst" müsste er eigentlich sagen.
Er aber "Weine nicht!" Die Witwe tat ihm leid, trotzdem
mutet er ihr das zu. Eine Zumutung an die Witwe, noch bevor
irgendetwas geschieht. Sie fordert viel Glauben von ihr. Wohl
gemerkt: Das darf nur Jemand sagen, der den Grund des Weinens
ändern kann. Soll man Jesus das zutrauen? Er geht jedenfalls auf
die Bahre zu und berührt sie.
Das alleine ist ungeheuerlich. Jesus verunreinigt sich dadurch
wenn er einen Toten oder auch nur die Bahre anfasst, auf der er
liegt. Er ist damit kultisch unrein. Man darf etwas, was unrein
ist, nicht berühren. Können wir uns nicht mehr vorstellen, weil
wir das nicht kennen. Unrein bedeutet, er ist vorübergehend aus
der Gesellschaft ausgeschlossen. Er muss sich erst wieder
reinigen, eine umfangreiche Prozedur. Aber Jesus sieht das Leid
der Witwe und das ist für ihn viel wichtiger.
Klar blieben die Träger nun stehen. Jesus muss eine solche
Autorität ausgestrahlt haben, dass sie gar nicht anders konnten.
Ganz herrscherlich wendet sich Jesus dem jungen Mann zu. Schon
die Tatsache der Anrede bestreitet, dass hier der Tod einen
Menschen so in Gewalt bekommen habe, dass er ihn hindern könnte,
das Wort seines wahren Herrn zu hören. "Ich befehle dir,
Steh auf!"
Und noch einmal drückt der Evangelist Jesu herrscherliche Gewalt
aus, durch das, was der Auferweckung folgt: Wie über ein
Eigentum verfügt Jesus über den jungen Mann. Als Geschenk aus
Jesu Hand nimmt die Mutter ihn in Empfang. Jesus gibt, wie allein
Gott geben kann.
All die Menschen, die dabei sind, erschrecken. Sie erschrecken,
wie man immer erschrickt, wenn Gott so vor unseren Augen irgendwo
eingreift, wenn man die Nähe Gottes, wenn man den Windzug seines
Vorbeigehens fühlt. Wenn man fühlt, dass er nah ist.
"Gott hat sein Volk heimgesucht" sagen die Leute, oder
in unserer Übersetzung: "Gott selbst ist seinem Volk zu
Hilfe gekommen." Gott selbst macht deutlich, dass er die
Macht hat, auch die Macht über den Tod. Jesus zeigt uns hier,
dass in seiner Gegenwart mit dem Tod einfach nicht alles aus ist,
dass es weitergeht.
Wisst ihr, Jesus hat nicht allen Menschen geholfen. Er hat nicht
alle Toten auferweckt, und nicht alle weinenden Witwen getröstet.
Er hat nicht alles Leid in der Welt abgestellt. Und auch der
Jüngling zu Nain musste wieder sterben.
Aber er hat uns gezeigt, dass der Tod nicht das letzte Wort hat.
Und das wird sich auf unser Leben auswirken.
Amen.
Und der Friede Gottes, welcher höher ist
als alle Vernunft, regiere unsere Herzen, in Jesu Christus
Amen